Künstliche Intelligenz in der Gastronomie: Chance oder Bedrohung?

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Digitale Tools Gastronomie

Werden in Zukunft aufgrund des erhöhten Personalmangels Roboter die Gäste bedienen? Werden nur noch Maschinen in der Küche das Essen kochen? Verschwindet der Faktor Mensch aus der Gastronomie? Oder unterstützen neue Technologien die Betriebe dabei, Prozesse zu verbessern und als Arbeitgeber sogar attraktiver zu werden? Unser Schwerpunkt zur Künstlichen Intelligenz in der Gastronomie.

Was ist Künstliche Intelligenz überhaupt?

Es ist kompliziert. Wikipedia zeigt, dass es bereits bei der Definition dessen, was man unter Künstlicher Intelligenz eigentlich verstehen soll, ein Problem gibt: „Künstliche Intelligenz (…) ist ein Teilgebiet der Informatik, das sich mit der Automatisierung intelligenten Verhaltens und dem maschinellen Lernen befasst. Der Begriff ist schwierig zu definieren, da es bereits an einer genauen Definition von ‚Intelligenz‘ mangelt.“ 

Können Maschinen, Programme und Co. per se überhaupt intelligent sein?  

Hier hilft vielleicht ein kleiner Trick, diese fast philosophische Frage zu umgehen. Denn im Englischen spricht man von „artificial intelligence“, und „intelligence“ bedeutet nicht nur Intelligenz, sondern lässt sich auch – Fans von Geheimdienstfilmen wissen es – mit Information übersetzen. Man könnte also auch von künstlich generierter Information sprechen – Daten und Fakten also, die mittels Maschinen gesammelt, aggregiert, interpretiert und bereitgestellt werden. Und die dann wiederum dem Menschen – also zum Beispiel Gastronominnen und Gastronomen– für Entscheidungen zur Verfügung stehen.

 

Digitale Tools für mehr Effizienz 

Wie wird Künstliche Intelligenz in diesem Sinne bereits in der Gastronomie eingesetzt? Hier lassen sich zwei große Bereiche unterscheiden. Der erste Bereich ist die Unterstützung der Betriebe im Bereich der Planung und Prognose. Diverse Unternehmen haben bereits Lösungen für die Branche entwickelt, die z.B. im Rahmen der Beschaffung und der Speisenzubereitung mittels Datenauswertungen für mehr Effizienz und somit bessere Rentabilität bzw. Wirtschaftlichkeit sorgen.

MenuKit ist ein gutes Beispiel dafür: Über 21.000 Rezepte hat die Software-Lösung bis zum heutigen Zeitpunkt bereits kalkuliert und bietet ihren NutzerInnen, etwa KöchInnen oder auch ungelernten Kräften in der Küche die Möglichkeit, Rezepte anzulegen, den Wareneinsatz per Knopfdruck zu optimieren und Prozesse so zu vereinfachen, dass mehr Freiraum für Kreativität entsteht – etwa, um an neuen Rezepturen zu feilen oder eine neue Karte zu schreiben. 

 

Trends per KI aufspüren

Stichwort Karte: Tastewise aus Israel ist ein anderes Beispiel, wie Künstliche Intelligenz  in der Gastronomie unterstützend wirken kann. Das Tool analysiert Hunderttausende von Speisekarten sowie Millionen von Social-Media-Posts, die sich mit dem Thema Food beschäftigen: Welche Gerichte tauchen besonders häufig auf? Gibt es spannende Neuentwicklungen? Ist eine Speise in meiner Stadt gerade im Trend? Und wo kann ich mich mit meinem Konzept andocken bzw. positionieren? Im Grunde macht „Tastewise“ das, was GastronomInnen sonst tun, wenn sie in einem anderen Betrieb etwas Spannendes entdeckt haben: Es aufschreiben bzw. (heimlich) fotografieren. Nur eben vollautomatisch und viel, viel umfangreicher. Auf diese Weise werden Nachfrage- bzw. Bedarfslücken entdeckt und können neue Produkte für die Gäste entwickelt werden. Logisch, dass auch die Lebensmittelindustrie dieses spannende Tool bereits für sich entdeckt hat – schließlich will man auch hier Flops vermeiden.

 

KI gegen Lebensmittelverschwendung 

Während KI-Tools wie „MenuKit“ und „Tastewise“ sich darum kümmern, wie Ideen für neue Speisen und deren effiziente Zubereitung in die Küche kommen, beschäftigen sich Kitro und Winnow damit, wie Lebensmittelabfälle in der Gastronomie mit Künstlicher Intelligenz besser vermieden werden. Ein großes Thema: Rund 1,7 Millionen Tonnen Essen werden alljährlich allein im deutschen Außer-Haus-Markt weggeworfen, schätzt das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft. 

Doch wieviel davon fällt im eigenen Betrieb an bzw. ab? Um das herauszubekommen, bestünde eine Möglichkeit darin, von Hand den organischen Müll zu messen, zu wiegen und verschiedene Arten weggeworfener Lebensmittel zu analysieren. Weil das weder besonders einfach noch angenehm ist, übernehmen „Kitro“ und „Winnow“ dieses: In beiden Systemen scannt eine Kamera das Weggeworfene und ordnet es einer Warengruppe zu. Zudem befindet sich unter den Abfallbehältern eine Waage, die den entstandenen Abfall wiegt. Es wird sogar berechnet, was es kostet bzw. wie viel Geld man durch Vermeidung hätte einsparen können. Auf diese Weise können Entscheidungen getroffen werden, etwa, dass bestimmte Waren weniger eingesetzt, Rezepturen überarbeitet oder Ausgabemengen angepasst werden. Was am Ende bares Geld sparen kann.

Solche KI-basierten Lösungen für Beschaffung, Speisekalkulation, aber auch für die Personaleinsatzplanung und weitere Bereiche in gastronomischen Betrieben gibt es bereits viele und es werden immer mehr. Mehr dazu in unserem Special zur Digitalisierung!

 

Kommen jetzt die Roboter?

Der zweite große Bereich, wenn es um Künstliche Intelligenz in der Gastronomie geht, ist der Bereich der Produktion und des Services. Er ist derjenige, der in den Fach- und Publikumsmedien deutlich häufiger auftaucht. Hier sind dann menschenähnliche Roboter, Greifarme oder Kochmaschinen zu sehen, die neben oder anstelle von echtem Personal in Küchen und im Gastraum arbeiten. So wurde kürzlich von einem Restaurant an der Ostsee berichtet, das aufgrund des Personalmangels eine Art selbstgesteuerten Servierwagen mit dem Gesicht einer Eule (oder Katze?) durch den Gastraum rollen lässt. 

Ist ein solcher Serviceroboter etwa die Zukunft des Services? Es ist eher davon auszugehen, dass solche Beispiele Einzelfälle bleiben werden (die für manche Betriebe Sinn machen mögen, weil Gäste gezielt wegen des Effekts zu ihnen kommen). Doch die Gastronomie ist ein Ort der Begegnung zwischen Menschen, und weil viele Gäste in ihrem Alltag bereits sehr viel mit Technik zu tun haben, den ganzen Tag vor Computern sitzen und Smartphones bedienen, werden sie das Analoge der Gastronomie immer wertschätzen. 

 

Küchenhilfe, digital

Wesentlich wahrscheinlicher ist es hingegen, dass Roboter Einzug in die Küchen halten werden. Auch dafür gibt es bereits Beispiele: So den „robotic chef“ von Aitme aus Berlin. Hierbei handelt es sich um eine vollautomatisierte Kücheneinheit, in der Roboterarme eigenständig binnen weniger Minuten Bowl-Kreationen zusammenstellen – Gebratenes, Geschmortes und Co. kann das System (noch) nicht zubereiten.

Ein anderes, ähnliches System, das ebenfalls aus Deutschland (Leipzig) kommt, ist die Davinci Kitchen, eine Robo-Küche, die ohne menschliches Zutun im Nu frische Pastagerichte zubereitet.

Solche KI-gestützten Einheiten könnten unter anderem in Kantinen ohne richtige Küche oder auch als moderner Selbstbedienungs-Kiosk eingesetzt werden. Ebenso ist vorstellbar, dass solche Systeme in einer Ghost Kitchen – einem Restaurant ohne Gäste vor Ort – im wahrsten Sinne des Wortes angestellt werden. Denkbar ist aber durchaus auch, dass solche oder ähnliche Systeme in Profi-Küchen wie der Gastronomie physisch belastende und sich ständig wiederholende Aufgaben übernehmen. Sie werden das menschliche Küchenteam in inhabergeführten, klassischen Restaurants vermutlich nicht ersetzen, ihm wohl aber zuarbeiten. 

 

Das Zauberwort heißt „Cobot“ 

In der Industrie sind sie längst gang und gäbe: So genannte Cobots (Kurzform für collaborative robot, kollaborativer Roboter), die gemeinsam mit den Menschen arbeiten und ihnen Handgriffe abnehmen. Im Prinzip sind moderne Küchengeräte vom Kombidämpfer bis zum Thermomix bereits Vorstufen dieser Entwicklung, denn auch sie sind gespickt mit Daten und nehmen dem Küchenteam bestimmte Arbeitsschritte ab. In diesem Bereich wird es in Zukunft sicherlich spannende und überzeugende Entwicklungen geben, die nach und nach in den Küchen Einzug halten und z.B. kräftezehrende Arbeiten, solche mit erhöhter Verletzungsgefahr und einfach Handgriffe und Arbeitsschritte, die auf Dauer eintönig und langweilig sind, für die KollegInnen aus Fleisch und Blut übernehmen. 

Genau das ist auch gefragt: Laut der aktuellen Studie FutureHotel – Employee Profiles des Fraunhofer Instituts, in deren Rahmen rund 4.000 Beschäftigte im Gastgewerbe zu ihrer aktuellen Arbeitssituation befragt wurden, wurde u.a. ermittelt, dass 65% der befragten KöchInnen sich wünschen, dass „wichtige Daten und Informationen, die für die Arbeit benötigt werden, online verfügbar sind“. Ebenso wünschen sich 73%, dass „bei den anfallenden Aufgaben nicht nur Wissen und Erfahrung, sondern auch Kreativität gefragt ist und man kreative Einfälle in die Arbeit einfließen lassen kann“. Auch das Arbeiten im Gastraum und das Kochen in einer offenen Küche – zeigen, was man kann – spielt eine wichtige Rolle. Genau für diese Dinge kann künstliche Intelligenz die nötigen Kapazitäten schaffen, weil sie dem Menschen in der Küche mehr Zeit und Raum für individuelles Arbeiten „freischaufelt“. 

Fazit: Es geht nach wie vor um den Menschen

Das Berufsbild des Kochs/der Köchin wird sich in diesem Zuge in den kommenden Jahren stark verändern: Mehr denn je werden kulinarische Kompetenz, Handwerk und Kreativität gefragt sein und zugleich die Fähigkeit und Bereitschaft (digitale) Prozesse zu steuern und zu kontrollieren. Künstliche Intelligenz wird dabei eine unterstützende Rolle zuteil: Sie hilft, strategische Entscheidungen besser (und weniger intuitiv) zu treffen und entlastet. Im Idealfall sorgt dies dafür, dass zukünftig noch mehr Zeit für das Wesentliche in der Gastronomie – mit Menschen kommunizieren, sie inspirieren und verwöhnen – entsteht. 

5 Tipps für den Umgang mit Künstlicher Intelligenz in der Gastronomie

1. Vom eigenen Bedarf her denken:

Wo gibt es Lücken, Schwachstellen, aber auch Potentiale, bei denen eine digitale bzw. KI-basierte Lösung den Betrieb unterstützen kann? Anforderungen, Aufgaben und Wünsche schriftlich notieren – dies sind letztlich die Featurewünsche. 

 

2. Das Team mitnehmen:

Gerade technische Innovationen und Neueinführungen sind sensibel und können nach hinten losgehen, wenn die Bedürfnisse, aber auch die Vorbehalte des Teams nicht einbezogen werden. Und mehr noch: Weil es ja in hohem Maße sie sind, die solche Tools bedienen und nutzen werden, ist ihre Einschätzung bzgl. Nützlichkeit enorm wichtig. 

 

3. Marktscreening betreiben:

Welche Lösungen werden bereits angeboten? Setzen KollegInnen möglicherweise Tools ein, die auch im eigenen Betrieb sinnvoll wären? Mit Anbietern in Kontakt treten und auch bestehende Geschäftsbeziehungen mit Dienstleistern im Digitalbereich nutzen – viele haben bereits zusätzliche spannende Lösungen im Portfolio oder arbeiten gerade an diesen.  

 

4. Sich bei der Implementierung helfen lassen:

Ob Telefon-Support, Schulung vor Ort oder angeleitete Einarbeitung: Der Faktor Mensch spielt beim Setup eine wichtige Rolle. Wie gut ist der Service des Dienstleisters, unterstützt er den Betrieb dabei, das neue Feature – zum Beispiel eine Planungs-Software oder ein technisches Gerät für die Küche – erfolgreich einzugliedern? Der Leistungsumfang sollte vorher detailliert besprochen werden. 

 

5. Veränderungen/Verbesserungen messen und überprüfen:

Werden Prozesse durch die eingeführte Lösung besser? Schneller? Günstiger? Wie zufrieden sind die MitarbeiterInnen? Gibt es Probleme oder Anpassungswünsche? Nach einer zuvor vereinbarten Testphase (zum Beispiel ein Monat) sollte ein Kassensturz gemacht werden. Und wird entschieden, mit der Lösung weiterzuarbeiten, sollten regelmäßige Feedback-Runden eingeplant werden.